Zehn Jahre Aktion Orthofit: „Den Handy-Nacken gab es damals noch nicht!“
In diesem Jahr feiert der BVOU das zehnte Mal seine Aktion Orthofit „Zeigt her Eure Füße“. Seit 2010 leisten Mitglieder und Nichtmitglieder Präventivarbeit in Schulen, Kitas, Tanzschulen und Vereinen für insgesamt über 80.000 Kinder. Viele Ärztinnen und Ärzte sind von Anfang an dabei und zeigen jedes Jahr großes Engagement. Dr. Lutz Grunwald ist einer von Ihnen und erzählt, wie sich das Verhalten der Kinder in Zeiten der Digitalisierung ändert.
Sie sind Mann der ersten Stunde, bereits zum zehnten Mal richten Sie die Aktion Orthofit aus. Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank. Woher kommt Ihr ungebrochenes Engagement? Was hat Sie die Jahre über motiviert?
Dr. Lutz Grunwald: Ich habe schon immer einen Schwerpunkt meiner Tätigkeit in der Kinderorthopädie gehabt. Und das aus verschiedenen Gründen. Zum einen hat man das Gefühl, bei so jungen Patienten noch viel positiv verändern und somit uns bekannte Probleme im späteren Leben vermeiden zu können. Zum anderen sind Kinder andere Patienten. Ehrlicher und direkter. Sie gehen nicht gern zum Arzt und Krankheiten werden nicht funktionalisiert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Kindern die Angst vor uns Ärzten nimmt, wenn man unverkrampft und lustig eine Untersuchung oder Behandlung gestaltet. Deshalb ist eine derartige Veranstaltung wie „der Fußtag“ jedes Jahr eine willkommene Gelegenheit, in dieser Weise eine wichtige Sache den Kindern nahe zu bringen. Und nicht nur die Kinder, sondern auch wir hatten jedes Jahr großen Spaß. Am lustigsten war immer das Erraten meiner Berufsbezeichnung. Da kommt dann schon mal von so einem sechsjährigen Knirps „Kinderfußarzt“ oder „Füße-o-Therapeut“.
In wieweit haben Sie ihren Aktionstag in zehn Jahren optimiert? Was haben Sie geändert? Was beibehalten?
Dr. Grunwald: Eigentlich haben wir am Ablauf in den letzten Jahren wenig verändert. Beim ersten Mal hatte ich die Aktion mit drei Klassen gleichzeitig in einer Turnhalle durchgeführt. Der Lärm der vielen herumlaufenden Kinder ist kaum zu beschreiben. Danach haben wir jede Klasse einzeln in einem Klassenraum, welcher mit einem Stuhlkreis vorbereitet wurde, unter Einbeziehung des Klassenlehrers einen Besuch abgestattet. Das ging viel besser. Außerdem rede ich weniger. Ich lasse gern die Kinder reden und höre mehr zu. Dann ist es viel einfacher, die Gedanken der Kinder, z.B. auf die Notwendigkeit von passendem Schuhwerk o.ä., zu lenken. Die Gesamtdauer der Veranstaltung haben wir verkürzt. Kinder in diesem Alter können nicht so lange stillsitzen und zuhören. Wichtig war diesbezüglich auch immer das praktische Ausprobieren der Fußfunktionen, z.B. über einen Trittpfad, Springseilhüpfen, Geschicklichkeitsübungen mit einem Ball usw. Damit blieben die Aufmerksamkeit und das Interesse wesentlich länger bestehen.
An welche Aktion oder welches Erlebnis denken Sie besonders gerne zurück? Warum?
Dr. Grunwald: An die Aktion vor neun Jahren natürlich, als der NDR mit einem Kamera-Team dabei war. Aber auch vor zwei Jahren, als die Kinder nach der Aktion uns das Lied „Zeig her wozu du Füße hast“ mit ihrer Musiklehrerin vorsangen und tanzten. Da haben wir zum ersten Mal bemerkt, dass die Kinder durch das Einstudieren dieses Liedes sich schon auf uns efreut hatten.
Erinnern Sie sich einmal zurück an Ihren ersten Aktionstag: Inwieweit hat sich das Verhalten der Kinder in den zehn Jahren allgemein geändert?
Dr. Grunwald: Ich glaube, das Bedürfnis nach Bewegung, wie es in diesem Alter noch sehr hoch sein sollte, wird geringer. Kaum ein Kind hat noch einen Schulweg, den es zu Fuß gehen muss. Oft werden die Kinder mit dem Auto bis zur Schule gebracht. Bewegung findet auch in der Freizeit immer weniger statt. Besonders auffällig ist jedoch, dass auch die motorische Geschicklichkeit bei vielen Kindern geringer wird. Beispielsweise kann ich mich gut erinnern, dass vor einigen Jahren noch die Hälfte der Kinder gut bis sehr gut Springseil springen konnte. In den letzten beiden Jahren war das eher die Ausnahme. Viele Kinder wollten springen (es sieht ja ganz einfach aus), wussten dann aber nicht, was sie tun müssen.
Spielen eventuell auch neue Medien wie Smartphones und Tablets bei der Aufklärung eine Rolle? Empfinden Sie dies als Segen oder Fluch?
Dr. Grunwald: Nach meiner Erfahrung spielt das Smartphone bei Kindern in der 1. Klasse noch keine Rolle. Bei älteren Kindern durchaus. Bei allen Annehmlichkeiten, die die neuen Medien bieten, empfinde ich sie als Orthopäde (sie) eher als Fluch. Der gefesselte Blick auf das Handy führt zu Unaufmerksamkeit, dies wiederum zu Stürzen oder Verletzungen beim Gehen oder gar im Straßenverkehr. Der ewig geneigte Kopf und der Mangel an sportlichem Freizeitausgleich durch die dauerhafte Handynutzung haben oft Erkrankungen zur Folge, die wir Orthopäden nur bei älteren Patienten, welche viele Jahre z.B. im Büro gearbeitet haben, kennen. Haltungsschwächen und -schäden haben aus meiner Sicht zugenommen. Diagnosen wie „Handy-Nacken“ gab es vor zehn Jahren in meiner Sprechstunde noch nicht.
Was glauben Sie: Bewegen sich Kinder heutzutage tendenziell mehr als damals oder existiert die Konsolengeneration (Playstation, PC, Nintendo, TV) noch?
Dr. Grunwald: Inzwischen gibt es nach meiner Meinung die „Konsolengeneration 2“, Kinder von Eltern, die mit Computerspielen aufgewachsen sind. Hier besteht für eine erfolgreiche, nachhaltige, gesundheitliche Aufklärung durch uns Orthopäden und Pädiater eine noch schlechtere Chance. Wird durch die Eltern ein sportlicher Freizeitausgleich vorgelebt, dann hat das auf das Freizeitverhalten der Kinder einen genauso deutlichen Effekt wie der von sogenannten „Couchpotatoes“ auf deren Kinder. Deshalb versuche ich, die Eltern bei der Aufklärung generell mit einzubeziehen, was nicht immer jedem gefällt. Aber auch die Schule könnte hier noch mehr leisten. Bei vielen Ganztagsschulkonzepten fehlt einfach der Zugang für die Kinder zu sportlicher Betätigung. Hier könnte durch eine bessere Verknüpfung von Schule und Sportvereinen deutlich mehr möglich sein.
Die Aktion Orthofit wurde im März erweitert: Nun möchten wir uns um einen gesunden Kinderrücken kümmern: Was denken Sie darüber?
Dr. Grunwald: Endlich! Es wurde ja in den letzten Jahren schon mehrfach angedeutet. Ich freue mich schon sehr darauf und bin gespannt, wie das Konzept vom BVOU dazu aussieht. Wir sind ganz sicher dabei.
Herr Dr. Grunwald, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Janosch Kuno, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit BVOU
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